Wirtschaftskrisen gefährden Zusammenhalt

Politik und Verwaltung

Bildung stärkt Engagement

Die Finanzkrise 2008 hat europaweit viele Personen in eine finanzielle Notlage gebracht. Dies hat Konsequenzen für den sozialen Zusammenhalt in Gesellschaften. Forschende der Universitäten Bern und Lausanne zeigten, dass finanzielle Notlagen das freiwillige Engagement erodieren lassen.


Inwiefern Wirtschaftskrisen den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährden, wird in der Forschung seit langem diskutiert. Klar ist, dass der Zusammenhang zwischen einer finanziellen Notlage und dem sozialen Miteinander komplexer ist, als frühere Studien angenommen hatten. Deshalb analysierten Markus Freitag, Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern, und Pirmin Bundi, Assistenzprofessor an der Universität Lausanne, in einer empirisch vergleichenden Studie das freiwillige Engagement in 27 europäischen Staaten. Freiwilligenengagement heisst, dass Menschen aus freien Stücken und weitgehend unbezahlt Zeit, Geld und Energie aufbringen, um sich für andere Menschen und Organisationen einzusetzen. Damit leisten sie einen Beitrag zum gesellschaftlichen Sozialkapital.

Finanzielle Notlagen untergraben Engagement

Das Resultat: Finanzielle Notlagen lassen das freiwillige Engagement erodieren. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass Bürgerinnen und Bürger bei finanziellen Nöten einerseits aufgrund begrenzter Ressourcen wie Zeit, Geld oder Fähigkeiten weniger häufig einem solchen freiwilligen Engagement nachgehen. Andererseits fühlen sich Menschen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten finanziell unsicherer und arbeiten zum Schutz ihres Arbeitsplatzes härter, was zu Lasten ihres gesellschaftlichen Engagements geht.

Wussten Sie, dass?

«Holland ist in Europa der Spitzenreiter bei der Freiwilligenarbeit: Rund 60 Prozent der Bevölkerung engagiert sich freiwillig. In der Schweiz sind es zwischen 25 und 30 Prozent, die sich in Vereinen, Organisationen und Behörden freiwillig engagieren.»

Bildung mildert negativen Effekt

Wie stark das freiwillige Engagement in Krisenzeiten zurückgeht, hat mit dem Bildungsgrad zu tun, wie die Studie weiter zeigt: Obwohl auch gut ausgebildete Bürgerinnen und Bürger in finanzielle Schwierigkeiten geraten können, wollen sie sich weiter freiwillig engagieren, da sie durch gemeinwohlorientierte Normen wie auch altruistische Motive und nicht durch Erwartungen zukünftiger Belohnungen mobilisiert werden. Der individuelle Bildungsgrad spielt allgemein eine wichtige Rolle für die Freiwilligenarbeit: Er schärft das Bewusstsein für soziale Probleme und die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements. «Bildung belebt die Motivation, sich aus wertorientierten Gründen freiwillig zu engagieren», erklärt Markus Freitag.

Bildung ist unerlässlich für die Gewinnung von Sozialkapital

Umgekehrt heisst das: «Freiwillige reagieren auf wirtschaftliche Schwierigkeiten anfälliger, wenn sich ihr Bildungsniveau in einem tieferen Rahmen bewegt», so Pirmin Bundi. Investitionen in das Bildungssystem sollten sich also für ein Land langfristig lohnen, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Gleichgewicht des sozialen Miteinanders zu erhalten. Dies ist laut den Autoren insofern wichtig, als der Bildungssektor in wirtschaftlich schwierigen Zeiten oftmals unter Spardruck gerät.

Freiwilligenarbeit und finanzielle Notlage
Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Notlage und dem freiwilligen Engagement in Europa: Die Abbildung zeigt, dass in den Ländern mit weniger freiwillig Engagierten die Bürger und Bürgerinnen oftmals ökonomische Not erleben. Beispielsweise gaben in Bulgarien und Griechenland, wo sich bloss rund 10% der Bevölkerung freiwillig engagiert, fast 80% der Studienteilnehmenden an, dass sie jeweils am Ende des Monats Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen zu bezahlen. Länderkürzel: AT Österreich BE Belgien BG Bulgarien CY Zypern CZ Tschechische Republik DE Deutschland DK Dänemark EE Estland ES Spanien FI Finnland FR Frankreich GB Grossbritannien GR Griechenland HU Ungarn IE Irland IT Italien LT Litauen LU Luxemburg LV Lettland MT Malta NL Niederlande PL Polen PT Portugal RO Rumänien SE Schweden SI Slowenien SK Slowakei (© Universität Bern)
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